DIE REBELLION DES SPIEGELS

 

(Dieter Hartig)

 

 

Des Morgens früh in Sonderbar,

Die Welt noch sehr in Ordnung war.

Bis  Herr Harunda wie gewohnt,

Ins Bad schritt, um durch Naßrasur,

Sich schön zu machen für den Tag.

Bis jetzt noch ganz ohne Plesur.

Da tönt vom Bade her ein Schrei,

Es klirrt, der Spiegel ist entzwei.

 

Da liegt er nun im Badezimmer

Und wirft noch einen letzten Schimmer

Der Morgensonne an die Decke.

Das Blut es rinnt aus einer Wunde

An Herrn Harundas Wange nieder

Und zeigt uns an, was hier geschah.

Und das kam weil in dieser Nacht

Der Spiegel hatte nachgedacht.

 

Mein Schimmer, er wird bleich und matt,

Im übrigen hab´ ich es satt

Der Menschen Eitelkeit zu dienen,

Denn auch ich habe Stolz und Ehr´.

Sie seh´n durch mich die Welt verkehrt

Und ihr Gesicht als eig´ne Maske.

Und denken alles ist so schön,

Wenn sie vor meinem Glase steh´n.

 

Doch zeigt man sie nicht spiegelbildlich,

Sondern so, wie sie ein jeder sieht,

Sind sie nur allzu leicht verletzt

Und ihnen damit Recht geschieht.

Sie sehen stets dieselben Bilder

Die ihre Eitelkeit verlangt.

Doch sie zu seh´n von anderen Seiten,

Der Mensch versucht stets zu vermeiden.

 

Da sähe sich der Playboy dann,

Als Krüppel der nicht laufen kann.

Die Ladies und die feinen Damen,

Die fielen auch aus ihrem Rahmen,

Weil Schminke ihr Gesicht nicht schützt

Und die Pomade nichts mehr nützt.

Da wär´ das Schloß ´ne Burgruine,

Der Schmuck nur eine Mülllavine.

 

Es lebt der Mensch von Illusionen

Die nur in seinem Äuß´rem wohnen,

Damit sie jeder sehen kann.

Doch kratzt jemand an der Fassade,

Schreit er auf wie ein wundes Tier

Und ruft: Laßt meine Träume mir.

Weil Herr Harunda auch so sprach,

Der stolze Spiegel d´ran zerbrach.