VON DER QUELLE BIS ZU MÜNDUNG

 

(von der Geburt bis zum Tod)

 

(Dieter Hartig)

 

DIE QUELLE       Es plätschert und gluckst im Birkenhain.

(Geburt)                   Es schimmert und glitzert im Sonnenschein.

  Es murmelt und kichert bei Tag und bei Nacht.

  Es brabbelt und zischt und singt und lacht.

  Es sprudelt und perlt aus der Tiefe empor.

  Und rauscht mit den Gräsern und Blättern im Chor.

  Es steigt und quillt ohne Unterlaß.

  Die schwangere Erde gebiert neues Naß.

 

DAS BÄCHLEIN            Es hüpft übermütig von Stein zu Stein.

(Kindheit)                Es tanzt mit sich selbst ein Ringelreih´n.

  Wirft neckisch mit Tropfen zum Ufer hin,

  Wo Löwenzahn und Vergissmeinnicht blüh´n.

  Eilt zwischen den Wiesen hin und her.

  Läuft geradeaus, stellt sich plötzlich quer.

  Gibt Fischen und Fröschen ein nasses Revier,

  Und stillt den Durst von vielem Getier.

 

DER BACH           Er treibt mit den Kieseln Schabernack

(Jugend)                  Und stürzt sich furchtlos den Felsen hinab.

  Breitet im Fallen seine Schleier aus

  Und taucht in die Fluten mit lautem Gebraus.

  Zerrt an den Wurzeln der knorrigen Weiden,

  Die sich, schon altersschwach über ihn neigen.

  Bewegt Wasserräder in steter Hast

  Und gönnt sich keine einzige Rast.

 

DER FLUSS          Er windet sich zwischen den Höhen dahin.

(Erwachsen)             Trägt Schiffe und Kähne die mit ihm zieh´n.

  Duckt sich unter Brücken, umarmt deren Stützen.

  Wirft sich gegen Dämme, trägt schaumige Mützen.

  Er treibt die Turbinen mit all seiner Macht

  Und liefert uns Strom, bei Tag und bei Nacht.

  Vermählt sich mit Wassern zur Linken und Rechten,

  Die gerne das Bett mit ihm teilen möchten.

 

DER STROM        Er hat der Städte so viele geseh´n,

(Alter)                      Schlösser und Burgen, die über ihm steh´n.

                                Menschen und Tiere zu beiden Seiten,

                                Angst und Tränen, Glück und Freuden.

                                Das alles macht ihm nun nichts mehr aus.

                                Er streckt nach dem Meere die Arme aus.

                                Bewegt sich träge der Mündung zu.

  Schlüpft aus seinen Ufern und legt sich zur Ruh´.